Florian

 
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Florian
 

Als Florian 14 Jahre alt war lief im Fern­sehen eine Serie in der sich 15 Menschen 16 Folgen lang auf das Leben in einem Gutshaus um 1900 eingelassen haben. Und genau dieses Leben, dieser historische Zeit­raum hat Florian damals so fasziniert, dass es ihn bis heute nicht mehr los­gelassen hat.
 

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„In gewisser Weise,“ sagt Florian, „lebe ich in der Vergangenheit.“ Das ist keineswegs immer leicht. Denn zum einen ist er, anders als beispielsweise Retrofans der 50er Jahre, mit seinem Lebensentwurf allein auf weiter Flur. Zum anderen sind die Reaktionen auf sein Anders-sein oft­mals verletzend. „In der Schule habe ich schnell gemerkt, dass ich nicht mehr dazu gehöre. Klar, die anderen reden noch mit einem, aber man spürt doch schnell, dass man inhaltlich nicht mehr dazugehört. Man wird ausgegrenzt.“
 
Was genau es ist, das ihn an  dieser Zeit derart fasziniert, dass er sie weiterleben lässt kann er nicht er im Detail erklären. „Es ist wie der Moment, wenn man in einer Beziehung ist und man merkt man liebt diese Frau. So ähnlich ist das. Besser kann ich es nicht erklären.“
 

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„So zu leben wie ich lebe bedeutet für mich eine große Zufriedenheit. Ich kann mir keine schönere Lebensform vorstellen. Ich bin gelandet. Vorher bin ich rumge­flogen, rechtsrum, linksrum, geradeaus, vorwärts, rückwärts… und dann habe ich quasi das Land gefunden, in dem ich nun lebe.“
Anfangs dachten seine Eltern Florians Ausflug nach 1900 sei nur eine Phase die wieder vorübergeht. „Aber als dann die ersten gößeren Anschaffungen kamen, wie der Schreibtisch, das Bett oder auch Kleidung, da haben sie gemerkt; oh, dem Jungen ist das ernst.“
„Es gab auch eine Zeit, wo ich das alles konsequent eisenhart durchgezogen habe. Morgens um halb fünf die Wäsche gewaschen auf dem Waschbrett und so. Vielleicht lag es an der Pubertät, man hat Träume, man will es durchziehen, jetzt und gleich. Aber mit der Zeit hat sich das wieder gelockert, ich habe auf Sachen wieder verzichtet, wenn ich gemerkt habe, dass ich sie nicht brauche. Ich habe aber auch Sachen angenommen, wenn ich gemerkt habe, dass ich sie brauche: also aus der Gegenwart. Ich habe zum Beispiel ein Handy. Oder auch die elektrische Lampe, das Radio, oder das Laptop.“
 

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Schlimm sind für Florian die Reaktionen, die er immer wieder auf der Straße be­kommt: Das sind Gesten wie der Hitler­gruß, oder Worte. „Das war für mich eine sehr große Probe, auf die ich da gestellt wurde. Ich habe mich gefragt, was denken die Menschen, was haben sie für ein Bild von einem.“ Am häufigsten wird Florian in die ‚braune Schublade‘ gesteckt, wie er sagt. Aber auch mit Al Capone oder Inspector Gadget hat man ihn schon kommentiert. „Ich bin ein zweifelnder Mensch“ sagt Florian „Das Selbstbewußtsein ist bei mir nicht so groß. Das hat aber nichts mit der Lebensart zu tun, so bin ich eben einfach als Mensch. Und dennoch lebe ich ja so, also soviel Selbstbewußtsein habe ich dann schon, dass ich mich nicht unterkriegen lasse.“
 

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Florian liebt seine alten Möbel, weil sie eine Geschichte erzählen, auch wenn er sie nicht kennt. Als er seinen Waschtisch stu­benfein gemacht hat, hat er auf der Rück­seite einer Schublade einen alten, rostigen Schlüssel gefunden. Zum Waschtisch selbst passte er nicht. Florian war fasziniert, und hat sich eine eigene Geschichte ausge­dacht, was einen der Vorbesitzer wohl ver­anlasst haben mag, diesen Schlüssel dort zu deponieren. Die Geschichte hat Florian in seine Schreibmaschine hineingetippt, den Schlüssel hat er gelassen, wo er war.
 

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In Florians Zimmer ticken gleich mehrere Uhren und Meister Hora aus Momo kommt mir in den Sinn. Früher, als seine Oma noch gelebt hat, ist er immer Freitags zu ihr gegangen und hat ihre Uhr gestellt. Dann ist er mit der Oma zur Uroma ge­gangen, und auch dort haben sie die Uhr gestellt. Auch Florian stellt seine Uhren immer freitags. „Ich habe meine Oma sehr gemocht.“
 


 

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Nach der Schule hat Florian eine Aus­bildung zum Schauspieler begonnen. „Ich habe sie aber wieder abgebrochen, nach langen Gesprächen mit den Dozenten. Die haben mir klar gemacht, dass ich, um Schauspieler zu werden, bereit sein muss, mich selbst immer wieder aufzulösen.“ Florian war dazu nicht bereit, auch wenn er es sehr bedauert. „Schauspieler zu sein ist für mich noch immer ein großer Reiz, Schauspieler zu werden, also der Weg dahin, eher weniger.“ Zu viel Engagement hat es ihm abverlangt seinen Stil und seinen Platz im Leben zu finden, als dass er das leicht immer wieder über Bord werfen könnte.

 

Nun möchte Florian gerne eine Ausbildung in einem Handwerksberuf machen: „Ich fänd es toll, wenn ich sagen könnte, dass ich studiere, dass ich Student an der Kölner Uni bin. Aber ich bin eher ein praktischer Mensch, niemand der viel liest oder schreibt. Es wäre mir zu theoretisch.“
 
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Im Keller bewahrt Florian ein Petroleum­fass auf, dass er für seine Lampen braucht. Auf Strom verzichtet er so gut er kann.
 

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Florian hat einen Trockenboden; seine Wäsche wäscht er inzwischen wieder in der Waschmaschine.
 

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Auf die Bühne zieht Florian es nach wie vor. „Früher habe ich im Schultheater mitgespielt. Als ich das erste Mal auf der Bühne stand, das war auch so ein magischer Moment.“ Sein großes Vorbild ist Heidi Kabel vom Ohnsorg-Theater. „Es sind eher die lustigen, leichten Stücke, die mich reizen, Schwänke und weniger die großen Dramen.“ Dass Heidi Kabel nicht mehr lebt bedeutet für Florian einen großen Verlust. „Erst habe ich die Nachricht ganz leicht aufgenomen. “ Aber dann war er mit seinem Fahrrad unterwegs und plötzlich, an irgendeiner Straßenecke, da hat er es plötzlich begriffen: „Dass sie nun nicht mehr lebt, nicht mehr da ist. Und dann war ich sehr traurig.“
Jan-Josef Liefers ist ein weiterer Schau­spieler, den Florain sehr verehrt: „Vor allem in Kombination mit Axel Prahl.“ Florian hat übrigens keinen Fernseher, wenn, dann sieht er bei seinen Eltern fern.
 

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Als ich Florian das erste Mal auf der Straße gesehen habe trug er einen Hut, den er kurz lüftete als ich ihn ansprach. Gutes Benehmen ist für ihn von Bedeutung: „Ich habe mal gelesen, dass man sich so gut benehmen sollte, und mit einer Lässigkeit, dass es die Leute gar nicht merken, dass man sich gut benimmt. Anderen Menschen, also nicht nur Frauen, die Tür aufhalten, ihnen den Vortritt lassen, solche Sachen.“
 
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Halt geben Florian seine Freunde. Und sein Zuhause: „Zu wissen, hier kann ich immer wieder hin, wenn ich mir mal einen Flügel gebrochen habe. Hier fühle ich mich geborgen.“
Ich möchte mich bei Florian für das sehr offene und ehrliche Gespräch bedanken! Und für den guten Kaffee.

 
Dies ist ein Beitrag aus meinem Blog anders-anziehen vom 24.3.2012